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Aussendungszeitpunkt: 20.03.2001 - 16:12
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Politische Kultur:



> Politik als Ritual

Unser Leben - das alltaegliche und das politische - besteht aus
einer Reihe von Ritualen. Diese Rituale haben eine Geschichte und
daher eine Ursache und einen Grund (oft mehrere), einen
oekonomischen und sozialen Sinn. Das taegliche Morgenritual des
Kaffeekochens erspart Zeit und Gehirnschmalz, weil ich nicht mehr
ueber jeden einzelnen Handgriff nachdenken musz, sondern alles
nach festen Regeln ablaeuft. Das soziale Ritual gemeinsamer
Mahlzeiten festigt den Gruppenzusammenhang durch erweiterte
Kommunikationsmoeglichkeiten, die auch der Bereinigung von
Problemen bzw. der Vorbereitung von zu erledigender Arbeit dienen
koennen. Das religioese Ritual der Messe verfestigt durch den
immer gleichen Ablauf seine Inhalte im kollektiven Gedaechtnis,
vereinigt die teilnehmenden Menschen zu einer Gruppe, die sich
nach auszen -- also den Nichtteilnehmenden gegenueber -- abgrenzt,
die Existenz als Gruppe durch die Abgrenzung geradezu erst
ermoeglicht. Das politische Ritual der
Autobahnteilstueckeroeffnung schafft fuer die Eroeffnenden, aber
auch fuer die TeilnehmerInnen eine Buehne, die ihnen Bedeutung
verschafft, sie in ihrer Existenz und ihrer Funktion bestaetigt
und damit auch rechtfertigt. Das Ritual dient der Strukturierung
der Zeit - das Jahr ist durch Rituale in verschiedene Teile
geteilt - und der Strukturierung der Gesellschaft.

Jede politische Handlung, die regelmaeszig stattfindet, folgt den
Regeln eines Rituals und kann daher nach den vorher genannten
Aspekten betrachtet und gegliedert werden, die Maiaufmaersche
ebenso wie das Volksstimmefest, die Donnerstagsdemo und die
Opernballdemo. Die ritualisierten Ablaeufe ersparen die
Neuorganisation jeder einzelnen Veranstaltung und sind daher
oekonomisch sinnvoll. Das gemeinsame Wissen um die politischen
Inhalte macht aus vielen Menschen eine Gruppe, die sich nach
auszen - also den nicht Teilnehmenden gegenueber - abgrenzen kann
und daher im Inneren besser zusammenhaelt. Durch die sozialen
Kontakte wird der Spasz an der Aktion verstaerkt, aber auch die
Identitaet der einzelnen Personen. Da die Regeln durch die immer
gleiche Abfolge allgemein bekannt sind - also auch der Polizei
(die densselben Regeln des rituellen Verhaltens unterworfen ist) -
ergibt sich, dasz die Demos gar nicht anders ablaufen koennen, als
sie ablaufen. Es ist jedes Jahr dasselbe: Die DemonstrantInnen
werden -- mehr oder weniger -- gejagt und gepruegelt - wobei immer
von seiten der DemonstrantInnen betont wird, dasz die Angriffe von
der Polizei oder von bekannten "agents provocateurs" ausgegangen
sind. Eine "friedliche" Opernballdemo kann es nicht geben, weil es
sie nicht geben darf - sie ist im Ritualablauf nicht vorgesehen.
Die Polizei zeigt durch ihr martialisches Verhalten deutlich, dasz
sie damit ebensowenig rechnet wie einzelne vermummte
DemonstrantInnen durch ihr Verhalten zeigen, dasz sie nicht damit
rechnen, dasz die Polizei friedlich bleibt.

Das ist ein Befund - keine Bewertung.

*Ilse Grusch*


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